Das neue Erwachsenen­schutzrecht mit Vorsorge­auftrag und Patienten­verfügung

04.07.2016 Seit dem 1. Januar 2013 ist das neue Erwachsenenschutzrecht in Kraft. In der Praxis haben wir festgestellt, dass diesbezüglich viele offene Fragen bestehen.

Mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht wurde das Instrument des Vorsorgeauftrags und der Patientenverfügung geschaffen. Diese Dokumente wurden bisher in der Praxis nur von wenigen Personen ausgefertigt, weil unklar ist, wozu ein Vorsorgeauftrag oder eine Patientenverfügung benötigt wird. Viele Personen glauben, dass der Partner automatisch eine umfassende Vertretung übernimmt.

Art. 16 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches sagt: „Urteilsfähig (…) ist jede Person, die nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftmässig zu handeln. Jeder kann mit dem Vorsorgeauftrag und der Patientenverfügung einen Stellvertreter einsetzen für den Fall, dass er nicht mehr „urteilsfähig” sein sollte.

1. Der Vorsorgeauftrag

Mit dem Vorsorgeauftrag kann jede urteilsfähige, voll-jährige Person für den Fall ihrer eigenen Urteilsunfähigkeit Vorkehrungen treffen. Der Vorsorgeauftrag schlummert so lange, wie die betroffene Person gesund und munter ist. Sobald die Urteilsunfähigkeit eintritt, lebt der Vorsorgeauftrag auf und die mit der Ausführung betraute Person wird aktiv.

Was regelt der Vorsorgeauftrag?

Der Vorsorgeauftrag umfasst die drei Regelungsbereiche: Personensorge, Vermögenssorge und Vertretung im Rechtsverkehr.

Die Personensorge umfasst die Sicherstellung der Betreuung für einen geordneten Alltag. Es können zum Beispiel Anordnungen zum Wohnort, zur Wohnsituation, zur Verpflegung, Unterhalt, Hobbys, Einrichtung, Bekleidung sowie Kontaktpflege getroffen werden.

Die Vermögenssorge umfasst die Verwaltung des gesamten Vermögens. Darunter fallen die Bezahlung der Lebenshaltungskosten, das Ausfüllen der Steuererklärung und die Vertretung in den übrigen vermögensrechtlichen Angelegenheiten mit Banken und Immobilien.

Bei der Vertretung im Rechtsverkehr geht es um die Befugnis zur Stellvertretung vor Behörden und Gerichten.

Für alle diese Bereiche, die das ganze Leben abdecken, können eine oder mehrere vertretungsberechtigte Personen bestimmt werden. Diese beauftragte Person bzw. Personen handeln dann bei eingetretener Urteilsunfähigkeit anstelle der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) im Sinne der Anweisungen des Auftraggebers.

Rolle des Partners mit Vorsorgeauftrag

Wenn ein klarer, umfassender und gültig errichteter Vorsorgeauftrag vorliegt, der den Partner als Beauftragten ein-setzt, kann dieser seinen urteilsunfähigen Partner vollständig vertreten. In diesem Fall muss die KESB keinen Beistand bestellen. Die Mitwirkung der KESB beschränkt sich auf die Prüfung und Bestätigung des Vorsorgeauftrags (Validierung). Anstelle des Ehepartners oder eingetragenem Partner kann bei einem Vorsorgeauftrag auch der Konkubinatspartner oder eine andere private oder professionelle Vertrauensperson eingesetzt werden.

Rolle des Partners ohne Vorsorgeauftrag

Dem Partner (nicht aber dem Konkubinatspartner) kommt auch ohne Vorsorgeauftrag ein gesetzliches Vertretungsrecht zu. Dieser kann gewisse Handlungen vornehmen, ohne selbst beauftragt zu sein oder die KESB involvieren zu müssen. Dieses Vertretungsrecht ist jedoch klar beschränkt auf Alltagshandlungen. Dies bedeutet, dass Partner ohne Eingreifen der KESB die laufenden Rechnungen für Wohnung, Nahrung, Kleidung, Betreuung, Körperpflege, Krankenkasse, Versicherungen, Freizeit und kleinere Geschenke bezahlen darf.

Sobald aber das Eigenheim belastet oder verkauft, Wertgegenstände veräussert, die Familienunternehmung liquidiert oder verkauft, ein Ehevertrag unterzeichnet oder ein Prozess geführt werden muss, ändert sich die Situation grundlegend. Für diese Handlungen muss der Ehegatte die Zustimmung der KESB einholen. Tut er dies nicht oder lehnt die KESB sein Gesuch ab, darf er die gewünschten Handlungen nicht vornehmen. Weil es sich bei jeder einzelnen Zustimmung um einen formellen Behördenentscheid handelt, fallen dafür Gebühren an, selbst bei minimalem Vermögen.

Empfehlungen

Mit einem Vorsorgeauftrag sorgt der Auftraggeber nicht nur dafür, dass der urteilsfähige Ehegatte sich möglichst wenig mit der KESB auseinandersetzen muss, sondern er kann auch eigene Anweisungen dafür geben, wie er sein Leben trotz Urteilsunfähigkeit weiterführen möchte.

  • Der Vorsorgeauftrag muss vollständig von Hand geschrieben, datiert und unterzeichnet sein.
  • Bei grossen Vermögen und bei komplexen Verhältnissen empfehlen wir den Beizug eines Notars, der eine öffentliche Beurkundung vornimmt.

2. Die Patientenverfügung

Was sollten die Ärzte unternehmen, wenn ein Leben einmal zu Ende geht? Was unterlassen, damit der Patient in Würde sterben kann? Und wie wird das in einer Patientenverfügung festgehalten? Für Notfälle alles regeln, so wie man es will; das ist nicht immer einfach – die Vorschriften setzen ein relativ enges Korsett. Eine gewisse massgeschneiderte Selbstvorsorge ist aber möglich. Die Patientenverfügung umfasst folgende Themen: Die persönlichen Angaben, die wichtigsten Bezugspersonen (und auch die unerwünschten Personen), den Gültigkeitsbereich, die zugelassenen Massnahmen, die Wünsche zum Sterben, Verfügung über den Körper, Einsichtnahme in die Krankengeschichte nach dem Tod, religiöse Handlungen und den Aufbewahrungsort der wichtigsten Dokumente.

Was passiert, wenn ein Patient nicht mehr ansprechbar ist? In Notfällen entscheiden die behandelnden Ärzte über die medizinischen Massnahmen beim nicht ansprechbaren Patienten – in dessen Interesse und gemäss seinem mutmasslichen Willen. In nicht dringlichen Fällen klärt das Behandlungsteam ab, ob der Patient eine Patientenverfügung besitzt, in der er Anordnungen getroffen hat. In einer Patientenverfügung kann eine medizinische Vertretungsperson bestimmt und andere Weisungen festgehalten werden.

Wenn keine Anweisungen vorhanden sind, gilt die gesetzliche Rangordnung für Ansprechpartner als medizinische Vertretungsperson:

  1. der Beistand mit einem Vertretungsrecht beimedizinischen Massnahmen
  2. der Ehegatte, der eingetragene Partner
  3. der Konkubinatspartner
  4. die Nachkommen
  5. die Eltern
  6. die Geschwister

Medizinische Vertretungsperson werden die genannten Personen aber nur, wenn sie sich regelmässig und persönlich kümmern und Beistand leisten. Sonst werden es die sich kümmernden Angehörigen der nachfolgenden Kategorie. Im Zentrum stehen immer der mutmassliche Wille und die Interessen des urteilsunfähigen Patienten. Die vertretungsberechtigte Person hat das zu beachten und darf nicht nach eigenem Gutdünken entscheiden.

Tipp

  • Wer nichts schriftlich festhalten will, sollte mit den Angehörigen darüber reden, welche Behandlungen gewünscht werden oder nicht.
  • Teilen Sie mit, wie Sie sterben wollen. Die Angehörigen müssen natürlich den Willen kennen, um dem Patienten in seinem Sinne beistehen zu können.
  • In jedem Fall empfiehlt es sich, eine Kopie der unterzeichneten Patientenverfügung dort zu hinterlegen, wo sie hingehört: beim Hausarzt, bei den nächsten Angehörigen und beim selbst eingesetzten „Stellvertreter“.
  • Im Gegensatz zum Vorsorgeauftrag muss bei der Patientenverfügung nur die Unterschrift von Hand geschrieben sein.
  • Datum nicht vergessen.
  • Vorlagen für Patientenverfügungen können gratis bezogen werden bei www.be.pro-senectute.ch, bei Dialog Ethik oder bei www.helponline.ch

3. Was tun im Todesfall?

Banken sperren in der Regel die Konten der verstorbenen Kunden vorsorglich und verlangen für die Bezüge einen Erbschein und die Zustimmung aller Erben. Das kann Hinterbliebene rasch in finanzielle Nöte bringen.

Ratschlag

  • Regelung der Unterschriften mittels Vollmacht oder im Vorsorgeauftrag, der auch über den Tod hinaus gültig ist.
  • Der Partner sollte zudem als Willensvollstrecker eingesetzt werden: So erhält er nach dem Tod rascher Zugriff auf die Konten.
  • Broschüren finden Sie unter www.be.pro-senectute.ch

Dokumente

Wir empfehlen Ihnen, die im Artikel erwähnten Dokumente auszufertigen. Sie ersparen Ihren Angehörigen in schwierigen Zeiten zusätzliche Belastungen und Stress. Unsere Mitarbeitenden und Partner geben Ihnen gerne Auskunft zu allfälligen Fragen. Gerne helfen wir Ihnen beim Ausfüllen der Unterlagen oder knüpfen den Kontakt zu einem Notar.

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